07.03.2023

Prof. Rüdiger Lahme über Mythen um den Bachelor of Law

Professor Dr. Rüdiger Lahme

„Nichts Halbes und nichts Ganzes“?

Prof. Dr. Rüdiger Lahme Rechtsanwalt und Professor für Wirtschaftsrecht an der PFH, räumt mit Mythen zum Studium Wirtschaftsrecht auf. Als Wirtschaftsjuristin oder -jurist mit einem Abschluss als Bachelor of Law (LL.B.) oder Master of Law (LL.M) – hat man da überhaupt gute berufliche Aussichten? Und wo findet man spannende Tätigkeitsbereiche? Dazu haben wir mit Prof. Dr. Rüdiger Lahme gesprochen. Der Rechtsanwalt leitet als Partner das Hamburger Büro von Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan LLP, einer international tätigen Rechtsanwaltskanzlei für Wirtschaftsprozesse. Und er lehrt Wirtschaftsrecht an der PFH, das die PFH nicht nur im Fernstudium, sondern seit dem Wintersemester 2022/23 auch auf dem Campus in Göttingen anbietet.

Herr Prof. Dr. Lahme, es sei „Nichts Halbes und nichts Ganzes“ hört man häufig als Vorurteil gegenüber dem Studium Wirtschaftsrecht. Studiert man mit einem Wirtschaftsrecht-Studium nichts "Richtiges", weil man weder Volljurist noch "Voll-BWLer" ist?

Das Studium Wirtschaftsrecht ist auf jeden Fall etwas „Richtiges.“ Es ist – eben wie bei jeder Studienfach-Wahl – vor allem abhängig davon, welche Themen einem liegen, wofür man sich interessiert und was man beruflich erreichen möchte. Haben Sie Interesse an juristischen Fragestellungen und an Wirtschaft gleichermaßen, möchten aber nicht sieben bis acht Jahre Jura studieren? Dann ist das Studium vielleicht genau das Richtige für Sie. Es gibt eine Reihe spannender Tätigkeitsfelder und ausgezeichnete Verdienstmöglichkeiten für Wirtschaftsjuristen.

Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?

Nicht nur wegen des enorm hohen Wettbewerbs um hochqualifizierte Associates* stellen Kanzleien immer mehr Wirtschaftsjuristinnen und -juristen ohne Staatsexamina ein. Ich bin in einer in Nordamerika verwurzelten, international arbeitenden Rechtsanwaltskanzlei für Wirtschaftsprozesse tätig. Diese beschäftigen Wirtschaftsjuristinnen und -juristen als sogenannte Paralegals oder Project Attorneys. Paralegals kennt man auch aus amerikanischen Anwaltsserien, wie beispielsweise Rachel Zane in der Serie „Suits“. Das sind Fachkräfte mit solidem juristischem Basiswissen und vielseitig einsetzbarem Know-how. Als rechtlich geschulte Fachpersonen entlasten und unterstützen Paralegals Juristinnen und Juristen und tragen damit wesentlich zur Effizienzsteigerung einer Kanzlei oder eines Unternehmens bei.

*Anm. der Redaktion: Die ersten Jahre in der Kanzlei verbringt man als Associate. Dabei werden Anwälte in ihrem ersten Arbeitsjahr oft als First-Year-Associate bezeichnet.

Was können Wirtschaftsjuristinnen und -juristen denn, auch im Vergleich zu Volljuristen, beitragen?

Sie sind überall dort anzutreffen, wo juristisches Handwerkszeug und betriebswirtschaftliche Kenntnisse erforderlich sind und wo es gilt, juristische Arbeit effizient, zügig und zugleich sorgfältig und gewissenhaft zu erledigen. Etabliert hat sich ihr Einsatz inzwischen im Projektmanagement, insbesondere im Kontext von Transaktionen und umfangreichen Mandaten, die gesteuert werden müssen. Großprojekte wie etwa jene rund um die Dieselverfahren der vergangenen Jahre führten dazu, dass Kanzleien Mandate mit unterschiedlich qualifiziertem Personal besetzen. Auch in unserer Kanzlei werden große Prozesse geführt, für die es häufig auch eine Reihe repetitiver Vorgänge gibt, die dennoch allerhöchster Sorgfalt bedürfen, zum Beispiel bei der Prozessvorbereitung von Sammelklagen.

Welche weiteren Aufgaben in der Wirtschaft können Wirtschaftsjuristen wahrnehmen?

Die Aufgaben sind breit gefächert. Wirtschaftsjuristen agieren in der Regel an der Schnittstelle zwischen operativem Management und der Rechtsabteilung. In Rechtsabteilungen von Handels- und Industrieunternehmen, Banken und Versicherungsgesellschaften sind Wirtschaftsjuristen Mitglieder des juristischen Teams, kümmern sich um Vertragsgestaltung und Vertragsprüfung, Compliance-Management oder die Vorbereitung von Gerichtsverhandlungen und sie unterstützen bei steuerrechtlichen Fragen. Sie sind Teil der Teams bei M&A-Prozessen* und dafür erforderlichen großen Due Diligences, also der Analyse eines Unternehmens auf wirtschaftliche, rechtliche, steuerliche und finanzielle Verhältnisse. Als Wirtschaftsjurist können Sie auch Teil der Human Ressource Management-Abteilungen sein und dort unter anderem Arbeitsverträge oder Betriebsvereinbarungen ausarbeiten. Das Studium kann außerdem eine gute Voraussetzung für den Einstieg in andere rechtsnahe Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Konfliktschlichtung oder Mediation in Wirtschaft und Verwaltung, sein.

* Mergers & Acquisition, also Firmenverschmelzungen und -akqusitionen

Sie sprachen ausgezeichnete Verdienstmöglichkeiten an. Können Sie Beispiele nennen?

Aus der Gehaltsstruktur unserer Kanzlei möchte ich natürlich nicht plaudern. Aber ich kann aus einer Umfrage des Juve-Verlags zitieren, laut derer Wirtschaftsjuristinnen und -juristen ohne Staatsexamen zum Berufseinstieg mit bis zu 96.000 Euro Jahresgehalt brutto rechnen können. Interessant ist sicher auch, dass Sie als Wirtschaftsjuristin oder -jurist dicht an spannenden Fällen arbeiten und dennoch planbarere Arbeitszeiten haben als Volljuristen, Sie haben eine hohe Jobsicherheit und tragen weniger Risiko. Und eine Gender Pay-Gap haben wir auch nicht.

Noch einmal zu dem Aspekt, kein vollständiges Jurastudium zu absolvieren. Ist das von Nachteil?

Es stimmt, dass in einem Wirtschaftsrecht-Studium nicht alle juristischen Fachgebiete so tiefgehend gelehrt werden wie in einem Studium der Rechtswissenschaften. Das liegt in der Natur der Sache, schließlich konzentriert sich der Studiengang Wirtschaftsrecht auf die wirtschaftlichen Aspekte und nicht auch noch auf andere Rechtsgebiete wie Familien- oder Strafrecht. Anders als bei der klassischen juristischen Ausbildung wird der Fokus hier nicht auf die gerichtliche Tätigkeit im späteren Job, sondern auf den Zusammenhang von Recht und Wirtschaft gelegt. An der PFH vermitteln wir den Studierenden ein breites betriebswissenschaftliches Wissen sowie fundiertes juristisches Fachverständnis. So lernt man im Studium bei uns die rechtliche Einordnung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sachverhalte, bearbeitet internationale Sachverhalte und Rechtsprobleme. Praxisbezug ist uns sehr wichtig, so lernen Studierende auch die unternehmensinterne Rechtsberatung und kompetente Ersteinschätzung von Sachverhalten und erwerben juristische Methodenkompetenz, die die Bearbeitung von Fällen auch in unbekannten Rechtsgebieten ermöglicht.

Sie sprachen den Praxisbezug an und kommen ja selbst aus der Praxis. Was möchten Sie den Studierenden vermitteln, was ist Ihnen wichtig?

Ich habe mir in meinem Studium immer mehr Praxisbezug gewünscht. Deshalb steht für mich in der Lehre im Vordergrund, den Studierenden auch umfassendes Praxiswissen zu vermitteln – mit vielen Beispielen aus dem Kanzleialltag und Prozessen. Worauf kommt es in der Prozessvorbereitung an? Worauf sollte man achten, welche Handlungsoptionen hat man? Zudem binden wir in der Lehre immer hochaktuelle Fälle oder Geschehnisse ein wie beispielsweise im Augenblick zum Thema Klimaklagen.