September 2023

„A fool with a tool is still a fool”

Prof. Dr. Schüle lehrt UX Design und Wirtschaftsinformatik an der PFH Göttingen

Prof. Dr. Hubert Schüle im Interview zu KI-Tools wie ChatGPT und den Einsatz im Unternehmen

Herr Prof. Schüle, was fasziniert Sie am meisten an KI-Technologien wie ChatGPT?

Mich faszinieren vor allem ihre beeindruckende Schnelligkeit der Entwicklung speziell der sogenannten Large Language Modellen (LLM) in den letzten Jahren und deren Leistungsfähigkeit beim Beantworten von Fragen. Künstliche neuronale Netze werden schon seit Jahrzehnten erforscht. Ich habe schon vor 30 Jahren im Rahmen meiner Assistentenzeit in einer Forschungsgruppe mit künstlichen neuronalen Netzen gearbeitet. Erst in den letzten Jahren haben Modelle wie ChatGPT dank enormer Investitionen in die Datensammlung und Rechenleistung jetzt den Durchbruch erzielt. Vor über 10 Jahren, ich meine es war im Jahr 2011, hat erstmals eine Maschine einen Menschen in der Quizshow "Jeopardy!" geschlagen. Das war IBM's KI-System "Watson". Dieser technologische Meilenstein wurde von der Öffentlichkeit bei weitem nicht so wahrgenommen wie heute ChatGPT. Heute ermöglichen diese Modelle bemerkenswerte Text- und auch Bildgenerierung für jedermann, sind frei zugänglich und erschwinglich. Dazu wurde viel Geld in die Hand genommen.

Microsoft entwickelt Geschäftsmodelle, die eine kommerzielle Nutzung und individuelle Anpassung auch für kleinere Budgets ermöglichen. Zum Beispiel können Unternehmen ChatGPT nutzen, um speziell auf ihre Produkte oder Dienstleistungen trainierte KI-Chatbots für den Service einzusetzen. Dazu müssen Unternehmen einen Vertrag mit Microsoft schließen und in die spezifische Datenaufbereitung und Training investieren. So können auch kleinere Unternehmen von den Vorteilen der KI-Technologien profitieren.

Bei aller Faszination dürfen Nachteile und Risiken nicht außen vor gelassen werden. Ein kritischer Aspekt neben vielen ist beispielsweise die benötigte Rechenleistung für KI-Modelle und der dafür erforderlicher Energieeinsatz.

 

Wenn Unternehmen über den Einsatz von KI nachdenken, was verlangt das den Führungskräften ab, vor welchen Herausforderungen stehen sie?

Sie sollten die Technologie wie KI verstehen lernen, bevor sie sie im Unternehmen einsetzen. Gerade ist zu bemerken, dass ein Handlungsdruck entsteht, das Neue soll möglichst schnell eingesetzt werden, sonst wird man als rückständig wahrgenommen. Auch Softwareanbieter versprechen viel und behaupten, getrieben von Marketingaspekten, in den Systemen steckt überall KI drin. Wenn man genauer hinschaut, sind es aber bewährte statistische Verfahren, die man ebenfalls unter Machine Learning subsumieren kann. Mit KI, genauer mit Künstlichen Neuronalen Netzen, hat das dann nichts zu tun. Die Begriffe gehen oft durcheinander.

Grundsätzlich ist deshalb ein Verständnis und die Kenntnis der Anwendungsfelder wichtig, da es oft etabliertere Methoden gibt, die für bestimmte Aufgaben besser geeignet sind als Künstliche Neuronale Netze. Als Führungskraft oder Verantwortliche in einem Unternehmen muss man sorgfältig abwägen, welche Investitionen Sinn ergeben und welche Technologie für welche Aufgabe am besten geeignet ist. Ein Beispiel ist die Cluster-Analyse im Marketing. Obwohl KI hier eingesetzt werden kann, können hier klassische statistische Verfahren oft bessere Ergebnisse erzielen. Aus meiner Sicht ist es daher entscheidend, die Technologie zu verstehen, um kluge Entscheidungen zu treffen und die beste Lösung für das jeweilige Problem zu finden.

Zudem sollte man die Risiken wie die Datensicherheit im Blick behalten. Sobald vertraulichen Daten wie Zahlen, Technologiedaten oder andere sensible Unternehmensinformationen mit Modellen wie ChatGPT kombiniert werden, sind sie nicht mehr kontrollierbar. Ja, es ist ein tolles, Produktivitätswerkzeug, extrem leistungsfähig, aber halt nur in der Hand von denjenigen, die damit erstens kompetent und zweitens verantwortlich umgehen. Frei nach dem Motto „A fool with a tool is still a fool”.

 

Wie nutzen Sie KI-Tools?
In meiner Arbeit nutze ich KI vielseitig. Zum Beispiel generiere ich bereits Übungsaufgaben und Kontrollfragen für meine Studierenden. Auch bei Programmieraufgaben hilft mir die KI, eine Lösung zu finden. Darüber hinaus nutze ich sie als Assistent, um Materialsammlungen zu erstellen oder eine Gliederung zu entwerfen. Obwohl man bei wiederholter Nutzung schnell merkt, dass ChatGPT kreativitätsmäßig seine Grenzen hat. Das ist ungefähr so, als würde man immer den gleichen Musikstil hören. Dennoch ist es eine nützliche Ressource in verschiedenen Bereichen meiner Arbeit.

 

Stellt das auch die Lehre vor neue Herausforderungen?

Auf jeden Fall. Werden KI-Tools wie ChatGPT für das Schreiben von Hausarbeiten zur Hilfe genommen, sollte man zum einen die Studierenden vorab aufklären und zum anderen Bewertungskriterien entsprechend definieren. Zum Beispiel den Anteil an Quellenarbeit höher gewichten, denn ChatGPT wird oft als Informationsquelle genutzt ohne dass die Quellen benannt werden. Auffällig ist auch, dass es häufig zu ähnlichen Argumentationsmustern kommt. Mit etwa Übung kann man erkennen, ob ein Lösungsweg individuell, kreativ erarbeitet oder von ChatGPT übernommen wurde. Andererseits kann KI den Studierenden auch als wertvolles unterstützendes Instrument dienen, um komplexe Übungsaufgaben zu lösen. Mehr mündliche Prüfungen durchzuführen, kann ebenfalls ein Weg sein, um in der Lehre an Schule und Hochschule damit umzugehen. Es ist aus meiner Sicht entscheidend, einen bewussten Umgang mit KI in der Lehre zu fördern und den Fokus auf kreatives Denken und eigenständiges Arbeiten zu legen. Wir als Lehrende müssen die Nutzung von KI kritisch begleiten.

 

Welche weitere Entwicklung der KI-Technologien erwarten Sie in naher Zukunft?

Die Leistungsfähigkeit von KI wird in Zukunft weiter zunehmen, d.h. die Fehlerquoten und datenbedingter Bias werden geringer. Sicherlich wird auch der Zugang zu dieser Technologie für individuelle Zwecke erleichtert werden, insbesondere durch vereinfachte Datenaufbereitung und Assistenzfunktionen. Im nächsten Schritt können wir davon ausgehen, dass eine Kombination verschiedener KI-Fähigkeiten zur Verfügung stehen wird, wie generative Texte, Bilder und intelligente Rechenfunktionen. Dies wird es ermöglichen, komplexe Aufgaben durch eine Zusammenarbeit verschiedener KI-Systeme zu lösen, beispielsweise Berichte mit einer Kombination aus Text und Grafiken zu erstellen.



Wenn man sich zu dem Thema einlesen möchte, was empfehlen Sie?

Letztendlich ist KI eine von vielen Methoden und Ansätzen, um aus Daten Erkenntnisse zu gewinnen. Es gibt ein schönes Buch von Foster Provost und Tom Fawcett, “Data Science for Business: What you need to know about data mining and data-analytic thinking” (der deutsche Titel ist “Data Science für Unternehmen“). Das Buch gibt einen gut verständlichen Überblick mit hinreichend Tiefgang. Bei Youtube finden sich eine Vielzahl spannender Videos, die einen guten Einblick geben, wie Neuronale Netze funktionieren. Ich finde die entsprechenden Videos der 3blue1brown-Reihe gelungen. Wer selbst Hand anlegen und Neuronale Netze programmieren möchte, findet in dem Buch von Tariq Rashid, „Neuronale Netze selbst programmieren: Ein verständlicher Einstieg mit Python“ einen verständlichen Einstieg. Nicht verpassen sollte man den Ted Talk zur KI von Juergen Schmidhuber, einer deutschen Koryphäe des Themengebiets: https://www.youtube.com/watch?v=-Y7PLaxXUrs

 

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